passing by

In der Ausstellung „passing by“ zeigt Margarete Schrüfer eine für die Präsentation entstandene ortsbezogene Rauminstallation gleichen Titels und Fotografien aus den letzten drei Jahren.
Es ist eine Abschiedsausstellung. Die Künstlerin hat über fünf Jahre das Atelier im Galeriehaus Nord für ihre Arbeit nutzen dürfen und es vor etwa einem Jahr zugunsten eines Neuankömmlings geräumt.
„passing by“ das heißt soviel wie „vorbeigehen“, „vorüberziehen“, aber auch „vergehen“. In allen Begriffen ist das Thema Zeit angesprochen. Der Ausstellungstitel verweist somit konkret auf die im Atelier Galeriehaus Nord verbrachte Zeit, im übertragenen Sinne charakterisiert er die Arbeiten von Margarete Schrüfer aufs trefflichste.
Margarete Schrüfer wurde 1969 in Bayreuth geboren und studierte nach einem Jahr an der Werkbundwerkstatt von 1997 bis 2003 an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg bei den Professoren Hanns Herpich, einem Textilkünstler, und Ottmar Hörl, einem Konzeptkünstler und heutigem Rektor der Akademie, bei dem sie ihr Studium als Meisterschülerin abschloss. Ihr Schaffen wurde früh mit Preisen und Stipendien gewürdigt. Von besonderer Bedeutung für ihr künstlerisches Schaffen erwies sich allerdings ein Aufenthalt in Japan im Jahr 2005.
Seitdem spürt Margarete Schrüfer der japanischen Ästhetik auf sehr individuelle Weise nach.
Seit der 1854 erfolgten Öffnung Japans, das zuvor abgeschottet eine dem Westen bis dahin unbekannte Ästhetik entwickelte, inspiriert die japanische Kunst europäische Künstlerinnen und Künstler. Zunächst waren es die eigentümlichen Farbholzschnitte, etwa eines Hiroshige oder Hokusai, deren radikale Bildausschnitte und ungewöhnliche Perspektiven die Modernität des französischen Impressionismus erst ermöglichten. Insbesondere das Schaffen von Degas, van Gogh, Gauguin, Matisse und Toulouse-Lautrec ist ohne den japanischen Farbholzschnitt nicht denkbar. Vor allem Frankreich und England, bzw. Paris und London wurden im 19. Jahrhundert von einer regelrechten Japan-Mode erfasst, die sich auch auf die angewandten Künste und selbst auf die Architektur erstreckte.
Der Japonismus bedeutete ein revolutionär neues Sehen, so dass der französische Schriftsteller Edmond de Goncourt bereits 1884 feststellte: „Ich möchte behaupten, er bringt einen neuen Farbensinn, neue dekorative Gestaltung und sogar poetische Phantasie in das Kunstwerk, wie sie noch nie selbst in den vollendeten Schöpfungen des Mittelalters oder der Renaissance existierten.“
Als Formfaktor der Moderne wirkte der frühe Japonismus auf Hoch- und Alltagskultur gleichermaßen. In einer Zeit großer Umbrüche, geistiger und technischer Revolutionen, bot die japanische Kunst einen Ausweg. Sie strebte nicht eine realistische Darstellung der Welt an, sondern gab Farbe, Linie und Komposition einen Eigenwert.
Bis heute ist die Faszination für Japan ungebrochen, was sich auch in der Nürnberger Kunst feststellen lässt, in der sich Neuinterpretationen konkreter Vorbilder etwa bei Udo Kallers „Die 100 berühmten Ansichten von Edo“ ebenso finden wie Motivaufnahmen bei Christian Faul oder vereinzelte Zitate, z. B. im Schaffen von Hubertus Hess, Thomas May und anderen.
Was kennzeichnet die japanische Ästhetik und inwiefern ist sie bedeutsam für das Schaffen von Margarete Schrüfer?
Japanische Kunst ist durch ein hohes Maß an Stilisierung geprägt. Tief verankert ist der Glaube an die Unbeständigkeit des Seins. Der Trauer um die Vergänglichkeit wird allerdings mit einer fast stoisch zu bezeichnenden Haltung begegnet.
Ein Ausdruck hierfür ist das Kirschblütenfest Hanami – schnellvergängliche Blüten im Überschwang der Natur erlauben den Japanern für einen kurzen Moment aus ihren Rollen zu fallen – fast wie bei uns im Fasching oder Karneval. Die Kirschblüte beginnt in Japan Mitte März, ist ein Bote des Frühlings und dauert etwa zehn Tage. Sie ist ein Symbol für Schönheit, Aufbruch und zugleich für Vergänglichkeit.
Die Kirschblüte, die im Übrigen auch in Franken gefeiert wird, ist demnach einerseits ein kurzlebiges Phänomen, mit dem die Natur ihre ganze Pracht zeigt, andererseits regelmäßig wiederkehrend und damit den Jahreslauf skandierend.
Das Motiv der Kirschblüte spielt auch bei Margarete Schrüfer eine große Rolle. In der Technik des Origami, das auf quadratisch zugeschnittenen Papieren basiert und in seiner strengen Auslegung ohne Kleber und Schere auskommt, faltet sie Blüte um Blüte, mit der Hand, in leichten Papieren. Eine Arbeit, die Präzision und sitzende Handgriffe verlangt.
In diesem Moment ist Margarete Schrüfer eine Objektkünstlerin. Auf den ersten Blick sehen alle Blüten gleich aus, erst auf den zweiten Blick offenbaren sich ihre Unterschiede. Margarete Schrüfer belässt es allerdings nicht bei der gefalteten Blüte. In ihren Fotoarbeiten lässt sie jede einzelne Blüte wie im Zeitraffer rückwärts ablaufen. Jedes Blatt wird wieder aufgefaltet, jeder Schritt, jede Faltung wird fotografiert und schließlich werden die einzelnen Fotografien – bis zu 30 sind für eine Blüte notwendig – am Computer so überlagert, dass die an Ästen befindlichen einzelnen Blüten ein malerischer Schein umgibt, der in apartem Kontrast zu dem sie umgebenden dunklen Hintergrund steht.
Margarete Schrüfers Fotografie ist eine Studiofotografie. Ihre Motivik beruht indes auf der alten Tradition der Blumenstillleben, die bei den Niederländern des 17. Jahrhunderts eine erste Hochzeit erlebten. Bereits damals handelten Blumenstillleben vom Werden und Vergehen, wurden Blüten in verschiedenen Wachstumsstadien gemalt oder gar Gewächse, die nicht zur selben Zeit blühen, in einem Bild vereint. Damals wie heute erinnern Blumenstillleben an den Kreislauf des Lebens von der Geburt bis zum Tod. Jegliches Leben wird als in einem zeitlichen Kontinuum ablaufend verstanden.
In der Moderne lehrte uns der deutsche Fotograf Karl Blossfeldt (1865 – 1932) Anfang des 20. Jahrhunderts mit seinen formal strengen und vereinzelnden Aufnahmen, Pflanzen als Ornamente zu sehen, Bernd und Hilla Becher gewöhnten uns an die serielle Fotografie gleichartiger, aber zugleich verschiedener Motive.
Auch die Arbeitsweise von Margarete Schrüfer ist im Grunde seriell. Ihr serieller Ansatz wird jedoch in der Überlagerung aufgehoben und in einem Werk verdichtet. Ihre Poesie und Zeitlosigkeit erlangen die Aufnahmen durch die daraus entstehenden Unschärfen.
Wo zeitgenössische digitale Fotografie stets in ihrer Beziehung zur Wirklichkeit hinterfragt werden muss, vertuscht Margarete Schrüfer den artifiziellen Ursprung ihrer Aufnahmen nicht.
Sie hat damit den Japonismus gewissermaßen verinnerlicht, dessen Hauptcharakteristikum es ist, verschiedene Gesichtspunkte in einem Bild zu realisieren, ein Bild zu schaffen und nicht ein Abbild der Realität.
Der japanischen Ästhetik im Sinne des Zen-Buddhismus inhärent ist außerdem, dass das, was ist, nicht das wahre Wirkliche ist, sondern ein Bild. Naturphänomene werden in Japan im Trockengarten, als Ikebana und mittels Origami als Allgemeingültiges formuliert, immer auf der Suche nach dem Wesen der Dinge und stets im Bewusstsein des zeitlich gebundenen Lebensrhythmus, dem etwas aus der Zeit Herausgelöstes entgegengesetzt werden soll.
Aus diesem Grund ist es folgerichtig, dass Margarete Schrüfer ihre Fotografien als „Frühling in Simulacrum“ bezeichnet. Simulacrum von lateinisch simul für „ähnlich“ beschreibt sowohl das Bild als auch das Abbild. Es kann Trugbild wie Traumbild sein.
Eigens für die Ausstellung entstand die raumbezogene Installation mit dem Papierboot, das in Kirschblüten schwimmt und darin eine deutlich sichtbare Spur zieht. Assoziationen der Überfahrt, an den mythologischen Fluss Styx bis zur aktuellen Flüchtlingskrise sind von der Künstlerin mitbedacht. Sie bindet ihre individuellen Empfindungen in einem allgemeingültigen Bild des Abschieds und der Trauer und zugleich der Hoffnung auf einen Neubeginn.
Das Motiv der Blüten, die sich aufgrund der Spur des Boots zusammenrotten, wird in den an die Wand gehängten, weißen und dabei glänzenden Papieren aufgenommen. Hier sind es einzelne Blütenblätter, zeichnerisch als Umriss abstrahiert, die über den Untergrund je nach Lesart schweben, tänzeln oder schwimmen. Es wurde darauf verzichtet, die großformatigen Papiere zu kaschieren oder auf die Wand zu tapezieren. Anders als die Fotografien, deren Papiere eine samtene und dabei undurchdringliche Oberfläche haben, die sich auch durch ihre Rahmung als Bild behaupten, nehmen die als Diptychon und Triptychon gehängten Papiere die Lichtreflexe der Beleuchtung auf und werden damit Teil des Ausstellungsraums.
Eine 60 x 50 cm große Fotografie irritiert die ansonsten in Rosa-, Pink- und Weißtönen gehaltene Präsentation. Die Arbeit mit dem Titel „Gardening“ stellt ein Vergissmeinnicht dar, dessen blaue Blüten auf einem hochragenden Stängel sitzen und zudem auf Weiß abgesetzt sind. Der Ausstellungsbesucher entdeckt es erst beim Hinausgehen.
So wie die Kirschblüte Vergänglichkeit symbolisiert, steht das Vergissmeinnicht für Erinnerung und Abschied. Zudem handelt es sich um eine blaue Blume, ein zentrales romantisches Motiv der Sehnsucht nach Unendlichkeit.
In dieser Setzung kulminiert der Ansatz der Künstlerin, die in der Ausstellung „passing by“ den Verbindungslinien zwischen der japanischen und der westlichen Ästhetik nachspürt. Ihre Arbeiten berühren, weil sie existentielle Fragen nach der Zeitlichkeit allen Seins, der Vergänglichkeit des Augenblicks und der Hoffnung auf Wiederkehr aufwerfen.

Der 1963 verstorbene japanische Dichter Sasaki Nobutsuna schrieb einmal:

Ob auf dem Weg
eine Spur bleiben wird
oder nicht –
bedachtsam
will ich meinen Weg gehen.

Ich bin mir sicher, dass auch Margarete Schrüfer ihren Weg bedachtsam weitergehen und ihre Kunst Spuren hinterlassen wird.

Dr. Andrea Dippel
Eröffnung der Ausstellung „Margarete Schrüfer – passing by“